WESEN
bezieht sich zum einen auf die in den Bildern gezeigten Figuren – seien es Tania
Bedriñanas Kinderwesen oder Maryna Baranovskas Baumwesen. Zum anderen
bezeichnet der Begriff auch das Dasein oder allgemein Seiendes und daher einen
Seinszustand, dem eine Zeitlichkeit eingeschrieben ist: etwas west, ist gewesen,
verwest. Im verbalen Gebrauch bei Martin Heidegger bedeutet „wesen“ verweilen,
währen, wohnen. Das Wesen ist demnach das Bleibende, Beharrliche an einem Dasein,
im Gegensatz zu seiner Erscheinung oder seinem bloßen Schein. In ihrer Malerei geht es
den beiden Künstlerinnen nicht um die Illustration eines Narrativs oder die Realisierung
eines Konzepts, sondern um den Moment des Erscheinens, hinter dem sich
Wesenhaftes verbirgt. Diesen Moment, in dem etwas an der Oberfläche erscheint, dort
verweilt oder wieder verschwindet kann man als das Rätsel des Malens bezeichnen, dem
die Künstlerinnen nachgehen. Ihre meist großformatigen Bilder gestalten sie zu
Farbräumen, deren Atmosphäre den Betrachter auf ihre spezifische Weise einnimmt.
Dabei berufen sie sich jeweils auf eine klassisch fundierte Kunstausbildung, die für
Bedriñana in Lima und Baranovska in Kiew bereits in jungen Jahren begann und die
beide im Berlin der 2000er-Jahre bis heute weiterentwickelten. Hier fanden sie zu einer
hochindividuellen Ausdrucksform und zu einem je archetypischen Motiv, das in den
eigenen Gefühlen, Sehnsüchten, Ängsten und Erfahrungen wurzelt.
In Tania Bedriñanas Bildern bewohnen Kinder nicht näher definierte Räume und gehen
traumhaften Tätigkeiten nach, mal alleine, mal als Paar oder in der Gruppe, mal in
vollkommen kindlicher Unschuld, dann wieder als enfant terrible. Das Spiel, das Ernst
und Spaß vereint, lässt sich zwar in einzelnen Szenen erkennen, die Handlungen aber
bleiben in der Schwebe und letztlich unsagbar. Rose Madder, beispielsweise, zeigt eine
Mädchenfigur, die sich einer Lichtgestalt gleich rot leuchtend vom dunklen Hintergrund
abhebt und dort nur kurz zu verweilen scheint. Schichtenweise setzt die Künstlerin die
Farbe, reibt sie in die Leinwand ein und strapaziert die Bildfläche derart, dass sich eine
matte, teils auch glänzende Patina bildet. Erst das wiederholte Bearbeiten von Textur und
Material ermöglicht der Künstlerin, aus Substanz und Chromatik der Farbe die Figuration
herauszuholen.
Beeinflusst von griechischer Mythologie und slawischer Folklore malt Maryna
Baranovska lebensgroße Bäume bzw. Baumstämme, die uns in all ihrer Monumentalität
und Solidität, aber dennoch vertraut und beseelt wie Lebewesen entgegentreten. Mit
malerischen Mitteln verleiht die Künstlerin dem einzelnen Baum einen Charakter, mit
dem der Betrachter in einen Dialog treten kann – dabei kann er furchteinflößend und
distanziert erscheinen oder zugewandt, zum Näherkommen einladend. Ebenso
vielschichtig ist der finstere Wald, wie wir ihn in Nacht im Tannenwald sehen. Er ruft eine
ganze Reihe an Assoziationen wach und wird meist mit dem Unheimlichen und
Bedrohlichen in einen Zusammenhang gebracht, schafft aber zugleich einen Raum der
Geborgenheit und Erholung, einen Naturraum, der uns immer wieder in seinen Bann
nimmt und fasziniert.
Tania Bedriñana wurde in Lima, Peru, geboren. Sie studierte Bildende Kunst an der Pontificia Universidad
Católica del Perú, der Kunsthochschule Kassel bei Dorothee von Windheim und Norbert Radermacher
sowie an der Universität der Künste Berlin. Sie unterrichtete an der Staatlichen Kunsthochschule für
bildende Kunst Lima (Dozentur) und der Kunsthochschule Kassel (Vertretungsprofessur). 2006 Teilnahme
am Goldrausch Künstlerinnenprojekt Berlin, seit 2017 Mitglied im Verein Berliner Künstlerinnen 1867 e.V.
Ihre Arbeiten waren in Einzel- wie Gruppenausstellungen innerhalb Europas und Südamerikas vertreten,
wie beispielsweise in der Zitadelle Berlin, im Kunstraum Bethanien (Berlin), Le Centquarte (Paris), Museo
de Arte de San Marcos (Lima), Galerie ICPNA (Lima) und im Museo de Arte Contemporáneo (Santiago de
Chile). Sie lebt und arbeitet in Berlin.
http://www.taniabedrinana.com/
Maryna Baranovska wurde in Kiew, Ukraine, geboren. Sie studierte Bildende Kunst an der Universität der
Künste bei Prof. Dieter Hacker und absolvierte ein Meisterschülerstudium bei Valérie Favre. 2005-2006
Stipendiatin der Dorothea-Konwiarz-Stiftung, 2010-2011 Teilnehmerin des Leonardo da Vinci Programms,
Paris.
Ihre Arbeiten wurden in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, u. a. im Haus am Lützowplatz
(Berlin), Haus der Kulturen der Welt (Berlin), Neuen Berliner Kunstverein (NBK), in der Galerie Ludmila
Bereznitska & Partner (Kiew) sowie in der Voloshyn Galerie (Kiew). Sie lebt und arbeitet in Berlin.
http://www.marynabaranovska.de/